Heutzutage gibt es viele verächtliche Kommentare über die aktuellen Generationen, die angeblich alles wollen außer arbeiten. Sie wollen wenig leisten und viel bekommen, beschweren sich aber gleich noch darüber, dass alles teurer wird und sie nichts leisten können. So oder so ähnlich höre ich das im realen Leben und im Internet. Alle wollen sie Homeoffice, 4-Tage Woche, von Reisen aus arbeiten (Workation) oder eine längere Freistellung (Sabbatical).
Tja, sowas aber auch. Meist sind die Personen, die mit Augenrollen über diese Wünsche der jüngeren Generation sprechen etwas älter. Sie haben ein anderes Leben geführt, andere Prägung gehabt und andere Aussichten. In der Bundesrepublik gab es immerhin Zeiten, in denen der Eintritt ins Erwerbsleben relativ sicher dafür gesorgt hat, dass man sich aus seinem Milleu herausarbeiten kann. Das ist schon einige Zeit her. Keiner sagt, dass das alles einfach und ein Selbstläufer war, aber grundsätzlich war das überhaupt noch möglich. Wir sind ja hier nicht in den USA – und vom Tellerwäscher zum Millionär gehört nicht zu unserer Geschichte. Dafür haben wir auch ein Sozialsystem, bei dem man nicht unbedingt auf reich werden zielen muss um dann Wohlhaben zu werden. Also musste. Dann kamen unzählige Veränderungen in der Politik und im Arbeitsmarkt … und wo stehen wir heute. Ich habe die Zahlen nicht parat, aber nach vielen Jahren des Reallohnverlustes gab es 1-2 Jahre mit entgegengesetzter Entwicklung und schon schlägt die Inflation wieder zu. Viele Menschen kämpfen immer noch mit befristeten Verträgen und – das verstehen m.M.n. sehr wenige der älteren Generation – die Arbeitsverdichtung schlägt immer weiter zu. Produktivitätsgewinne werden schon seit längerem nicht mehr direkt an die arbeitenden Personen weitergegeben, sondern sie landen zunehmen dort, wo sich schon viel Geld angesiedelt hat.
Das mal als kleiner Exkurs zu meiner Sicht auf die Arbeitswelt heutzutage. Ich sage bewusst meine Sicht, denn das hat am Ende auch etwas damit zu tun, wie und warum ich zum Sabbatical gekommen bin.
Ich gehöre nicht zur Generation Z, die angeblich so „arbeitsfaul„ ist – mit meinem Geburtsjahr stehe ich ganz am Anfang der Millenials. Damit sind viele Dinge, die heute selbstverständlich sind in meinem Leben erst hinzugekommen und nutzbar gemacht worden. Ich sehe diese Generation als eine, die mit jeweils einen Fuß in einer anderen Welt steht. Wir sind geprägt durch die „alte Welt“ und sind die die „neue Welt“ hineingeraten und haben uns dort angepasst, wo die jüngeren Generationen jetzt schon davon profitieren.
Warum ist mir das so wichtig? Ich glaube es ist kein Einzelfall. In den Medien lese ich immer wieder darüber und auch an mir selbst kann ich das beobachten. Ich meine diese Zusammenhänge führen dazu, dass „wir Millenials“, im Gegensatz zu den älteren Generationen, viel Verständnis für die Ideen und Einstellungen der Generation Z haben, eben genau für diese o.g. Ideen, weniger arbeiten, flexibler, Homeoffice, Workation und Sabbatical.
Warum? Keine Ahnung, ich bin kein Soziologe, aber ich habe eine Meinung. Wir sind die Generation die mit dem alten Versprechen gelockt wurden „schön arbeiten und am Ende dann in der Rente ausruhen“ und dann mit völlig anderen Wahrheiten konfrontiert wurden. Die Rente ist nicht sicher, die private Altervorsorge wurde eingeführt, das Renteneintrittsdatum verschoben, gleichzeitig brauchen wir weiterhin fröhlich alle Rohstoffe aus, die Klimaveränderung schreitet voran und das es in einigen Jahren noch eine Demokratie in Deutschland gibt ist definitiv nicht in Stein gemeißelt.
Seit ein paar Jahren wird es immer deutlicher, dass es das Versprechen „die Zukunft wird ein besserer Ort sein“ so nicht mehr gibt. Das treibt die Gen Z an, die noch viel mehr Zeit ihres Lebens mit dieser Unsicherheit verbringen müssen. Aber für mich ist das auch eine Art „Verrat“ an der Sache. Diese ganzen Themen haben immerhin Lebensentwürfe beeinflusst. Arbeiten, studieren, leisten, weiterentwickeln … „für die gute Sache“.
Ich persönlich habe kürzlich mal etwas recherchiert.
Mein erster Tweet zum Thema Sabbatical, den schrieb ich am 30. Juni 2015. Das ist jetzt dann doch schon 8 Jahre her und er war eher witzig gemeint. Etwa ein Jahr später gab es noch einen Tweet und 2017 dann schon mehrere.
Ich glaube heutzutage nennt man sowas Framing. Ich habe schon öfter festgestellt, dass man sich auch selbst super Framen kann, was ich offensichtlich getan habe. Aber wie bei vielen Dingen in den letzten Jahren war Corona der Gamechanger. Für mich war dieser Tweet und das, was drumherum geschah einer der Wendepunkte. (Ja, zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nix von Corona).
Aber danach ging es so richtig los. Aber nicht im Thema Sabbatical sondern damit, wie sich mein Arbeitsleben verändert hat. Als immer voll involvierter Mensch habe ich viel gelitten. Während ich vorher mit Zeit im Auto sicher 50h die Woche „gearbeitet“ habe, waren es jetzt vielleicht 45h aber immer am Schreibtisch und im Homeoffice. Die Corona-Zeit hat meinen Job, der sowieso schon ziemlich verdichtet war nochmals mehr verdichtet. Früher hatte die Position die ich inne hatte eine eigenen Assistenz (in Vollzeit), ich hab das alles alleine. Die Führungsverantwortung stieg, weil umstrukturiert wurde. Anstatt 6 Personen zu führen waren es dann 10. Ich war weiterhin allein. Ich habe Projekte übernommen, saß auf einmal in anderen Gremien – immer on Top.
Ich mag meinen Job und die Firma, ich habe dort viel erreicht. Aber es gibt einen Punkt, da ist das wie das Stockholm Syndrom. Jeder Mensch ist anders und ich habe mir oft und von vielen Leuten sagen lassen, dass sie meinen Job nicht machen wollen. Das war mir egal. Ich habe den Job gern gemacht. Ich habe echte Veränderungen vorangebracht. Wie beim Ausdauersport auch, habe ich ständig versucht den Grat zum Maximum zu finden und auf dem zu wandeln. Darin bin ich auch ziemlich gut. Das macht auch Spaß, bis es keinen Spaß mehr macht. Die Frage ist eben… merkt man es dann noch?
Zwischen Anfang 2020 und Mitte 2022 gab es mal gute und mal schlechte Phasen so wie immer. Wenn ich angeschlagen war, habe ich normalerweise den Weg zurück leicht gefunden. Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit Achtsamkeit und Stress-Management. Heute kann ich sagen, es ist aber nicht nur wichtig das Werkzeug zu haben, man muss es auch aus dem Werkzeugkasten holen können. Viele Dinge sind wieder verschwunden, geblieben ist häufig nur der Sport, der dann der letzte Rettungsanker war. Der Sport war dann nicht mehr die Sahne auf der Torte (oder die Kirsche) sondern die Form, dass das Gebäck nicht in sich zusammenkracht. Auf den Schlaf achten – Fehlanzeige. Kopfschmerzen 2-3x die Woche … einfach durch Sport wegbekommen anstatt durch ausruhen und schlafen. Überhaupt, Schlaf… der kommt von alleine.
Denke ich heute über diese Zeit nach ist es erschreckend, es ist so viel passiert, von dem ich nie dachte, dass es passieren kann. Meist lief es so, wenn es mir nicht gut ging hatte ich ein Gespräch mit meinem Chef, hab etwas aufgeräumt und für 1-3 Monate war wieder alles okay. Aber Mitte 2022 war dann gar nichts mehr okay. Ich hatte 3 Wochen Urlaub und nach dem Urlaub wollte ich nicht wieder zurück in die Arbeit. Vor dem Urlaub hatten wir eine Cyberattacke, die wieder alles durcheinanderbrachte. Wieder waren die Führungskräfte gefordert. Wir alle wollten den Menschen etwas sagen, aber es gab nichts zu sagen. Für mich war das die Hölle. Das war immer einer meiner Motivatoren. Ich konnte die Leute abholen, ihre Sorgen nehmen. Aber nun hatte ich die Sorgen meines Teams, meine Sorgen, die Sorgen der Kunden und die Sorgen des Unternehmens.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich mehreren Personen im Unternehmen gesagt, dass ich einfach nicht verstehe, dass wir Programm haben, dass jeder Mitarbeiter gesund am Abend wieder von der Arbeit nach Hause kommt. 0 Betriebsunfälle ist das Ziel – aber das dabei nicht berücksichtigt wird, dass eine psychische Ausnahmesituation im Job auch eine Art Betriebsunfall darstellt.
Warum kümmert man sich nicht darum, dass jeder Mitarbeiter auch Abends mental unversehrt wieder zuhause ankommt.
Das war meine stille Botschaft an Kollegen, meinen Chef und andere Führungskräfte. Zu diesem Zeitpunkt war mein mentaler Betriebsunfall schon längst passiert und was die nächsten Monate folgen sollte machte alles noch schlimmer.
Durch einen Wechsel in der Führung unseres Bereichs war da nicht nur der Stress und die Unsicherheit, auf einmal waren Dinge, die ich sehr an meinem Arbeitgeber geschätzt habe mit dem vorherigen Verantwortlichen verschwunden. Neue Themen kamen auf, Dinge mit denen ich mich nicht mehr identifizieren konnte oder wollte. Der Frust stieg und der Druck auf mich selbst stieg, denn ich habe versucht das mit mir auszumachen.
Der „Erfolg“ des ganzen war, dass ich bei einer Veranstaltung im Oktober auf dem Gang dem alten Verantwortlichen begegnet bin, der mich ca. 30 Sekunden gesehen hat und dann zu mir sagte „pass auf Dich auf!“. Zu dem Zeitpunkt sah ich aus wie eine arbeitende Leiche, fühlte mich auch so. Zu dem Zeitpunkt bin ich mit immer mehr Kollegen in Streit geraten. Ich hatte schon externe Bewerbungen geschrieben und körperlich ging es mir gar nicht mehr gut. Nach dem Sommerurlaub kam ich sportlich nicht mehr in den Tritt. Wie so oft zuvor war das der „Todesstoß“. So lange ich den Frust mit Sport kompensieren kann, hab ich es immer geschafft. Aber in solchen Situationen den Sport wegzulassen hat immer zu Problemen geführt. Diesmal deutlich mehr als bisher. Ich habe kaum noch durchgeschlafen, ich hatte ständig Kopfschmerzen, ich hatte keine Lust noch irgend etwas zu tun.
Heute sage ich, ich war vielleicht „sooooo knapp“ vor dem Burnout. Aber vielleicht mache ich mir etwas vor, denn wahrscheinlich war ich „soooo knapp“ schon hinter der Grenze.
Mojito wurde die Vereinbarung
besiegelt!
Weil mein Leidensdruck so groß war, habe ich meinen Chef im November 2022 um einen Termin gebeten. Wir haben uns in der Mitte getroffen in einem Hotel und haben den ganzen Tag gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich so nicht weiterarbeiten kann, dass ich Aufgaben abgeben muss, dass ich Verantwortung abgeben muss und dass ich jetzt unbedingt das Sabbatical angehen werde.
Mein Argument war gewesen, wenn ich ein Sabbtical machen kann, dann ist das ein Zeichen, dass ich noch bei meinem Arbeitgeber bleibe. In meiner Position ist es üblich, sofort wenn man kündigt freigestellt zu werden. Bei 3 Monaten Kündigungsfrist hätte ich das auch einfacher haben können. Aber so habe ich mich entschieden es für mich zu tun, selbst die Regeln aufzuerlegen.
Bis ich dann eine unterschrieben Vereinbarung auf dem Tisch hatte hat es dann noch etwas gedauert, über die Optionen und die Möglichkeiten werde ich sicher nochmals zu späterem Zeitpunkt einen Beitrag schreiben, heute ging es mir um die therapeutische Wirkung, hier nochmals die Reise zusammenzufassen.
Jetzt sitzt ich hier im Sabbatical und bin froh es gemacht zu haben. Es ist klar ein Luxus, das ist mir sehr bewusst, viele können das gar nicht und viele Arbeitgeber wollen das gar nicht. Für mich war es eine Option.
Letztlich konnte ich in der Zeit von November bis zum Sabbatical sogar noch den Job wechseln, das kam überraschend, aber damit bin ich inzwischen wieder sehr zufrieden.
Die letzten Woche vor der Auszeit sind meine Stresswerte kontinuierlich gesunken. Kopfschmerzen habe ich seit Monaten keine mehr und ich schlafe wirklich gut, ich habe nach Feierabend wieder Gedanken für andere Dinge. Dafür bin ich sehr dankbar!
Hej Daniel,
vielen Dank für diesen Einblick! In vielen Belangen sprichst Du mir aus der Seele. Und Danke für den Begriff des mentalen Betriebsunfalls… da habe ich etwas, um lange darüber nachzudenken.
Genieß das Sabbatical, ich freu mich auf weitere Einblicke!
LG Tina
Danke für den Einblick. Kommt mir in Teilen sehr bekannt vor.