Hungerast

Jahreszyklus Rennradnozive – heute: Hölle Hölle Hölle!

Hungerast

ich habe ihn gefunden … den heiligen Hungerast!

Eigentlich hätte mein Jahreszyklus Rennradnovize schon den ein oder anderen neuen Beitrag vertragen können.

Das erste Mal 1.000 Höhenmeter bei einer Ausfahrt, das erste Mal 100km, das erste Mal Strava-KOM, das erste Mal 30er Schnitt … oder so wunderbare Rennradalltäglichkeiten wie … das erste Mal die Schaltung bei einem Sturz verbogen oder das erste Mal das Rennrad wieder blitzblank geputzt. Alles Dinge denen man was positives abringen kann. Letztlich habe ich ja sogar meinem Regen-Desaster noch was gutes abgewinnen können … immerhin habe ich genossen, dass mich die Umwelt für so nen irren (meine Frau verwendet in Gegenwart anderer Leute den Geheimcode „intellektuell“) Sportler hielt.

Als intellektueller… ähm irrer Sportler macht man irre Dinge. Man meldet sich zum Beispiel für Wettkämpfe an, für die man nicht wirklich hinreichend trainiert bzw. trainieren kann. Oder man lässt in den letzten 5 Wochen vor einem wirklich großen Ding einfach 3 Wochen das Training ausfallen. Die Gründe dafür sind für normale Menschen sicher absolut nachvollziehbar, als … naja, bleiben wir mal nett … Sportler sieht man das natürlich etwas anders.

Natürlich (!) weiss man als verantwortungsbewusster und vernünftiger Ausdauersportler, dass man verpasstes Training nicht nachholen kann, vor allem auch dann wenn man gar keinem Plan folgt. Mein einziger Plan war … jede Woche 2-3x aufs Rad steigen und versuchen mind. 100km zu fahren. Damit stand ich heute Morgen mit einigen Kilometern und dazu noch ein paar Höhenmetern in den Miesen.

Also … Urlaubstag, die Wetter-App vermeldet trocken und die Familie ist zu jeglicher Intellektualität bereit. Also steige ich im Un-Sommer 2014 um kurz nach halb neun nach 3 Wochen auf mein Rennrad. Das Ziel ist mein Elternhaus – mit Hin- und Rückfahrt soll es heute 3-stellig werden.

Innerhalb von 3 Wochen habe ich aber wohl das ein oder andere aus dem bisherigen Jahreszyklus verlernt. Zwar habe ich den Ersatzschlauch eingesteckt … aber nur ein Gel-Tütchen. Das wäre nicht ganz so schlimm … immerhin ist ein Elternbesuch mit massiver kcal-Zufuhr verbunden. Allerdings lief ich am Vorabend eine Runde und habe mir am Morgen nur ein Brötchen und ein Kaffee gegönnt.

Nachdem ich nach 20km schon die Windjacke anziehen musste … weil ich dachte meine Muskeln frieren ein (nochmals … es ist Hochsommer!)  … war die Laune dennoch noch gut. Statt den direkten Weg fuhr ich eine weite Runde. Nach knapp 45 Kilometern phantasierte ich bei Gegenwind schon von Snickers und verfluchte, dass ich das einzige Gel schon nach gut einer Stunde genommen hatte. Noch 20 Kilometer bis zu warmen Klamotten, bis zur Dusche und zum Mittagsessen …

Nur noch mein Hungerast und ca. 600 Höhenmeter Aufstieg trennten mich davon. Blöderweise hatte ich natürlich auch keinen Cent Kleingeld einstecken. Jahreszyklus Rennradnozive – heute: mein erster Hungerast. Beim Laufen passiert das nicht so oft. Zwar habe ich da auch Phantasien von Nutellabrötchen und ähnlichen … aber das war’s auch schon.

Heute habe ich mir die volle Dosis gegönnt. Während ich mich also den steilsten Anstieg hochquäle und gedanklich darauf warte, dass mein Körper aus irgend einer Ecke noch Energie kratzt kassiere ich also die volle Dosis. Die Kilometer werden nicht weniger, die Beine schmerzen, der Wind bläst mir um die Ohren.

Die Motivation ist am Boden und so nach und nach merke ich wie die Kraft quasi gegen null sinkt. Bergab wird nur noch gerollt … bergauf wird gelitten. Gelitten und dem Drang widerstanden einfach abzusteigen, das Rad in hohen Bogen in den Straßengraben zu werfen und das Servicefahrzeug (auch bekannt als der Familienkombi) per Anruf herbeizuholen. Ich kenne die Strecke und weiss, dass es wirklich nicht mehr weit ist. Bei 8km  noch ein Anstieg … oben angekommen versuche ich Fahrt aufzunehmen, aber es passiert nichts.

Ich hätte selbst an einem Hungerast genagt – aber nichts. Ich quäle mich nochmals den vorletzten Anstieg nach oben und versuche die letzte Abfahrt zu nutzen um weiter zu kommen, aber tatsächlich einen Kilometer vor meinem Ziel ist es tatsächlich aus. Es fühlt sich an, als hätte jemand den Stecker gezogen. Mit 10-12km/h kurbele ich durch die Gegend und versuche in die Richtung zu fahren in die ich möchte. Es war die Hölle. Noch nie habe ich so bei einem Training gelitten.

Ich habe in Wettkämpfen gelitten – aber auf Endorphinen … aber noch nie so. Während der einen Stunde in der ich mich gequält habe, hab‘ ich 1.001x die Anmeldung zum EMC-Radmarathon verflucht und mir vorgestellt jetzt nochmals 100km zu fahren.

Aber merke: schlechtes Frühstück – 3 Wochen Trainingsausfall – windig – kalt – keine Verpflegung und kein Geld … sind einfach eine verdammt miese Konstellation. Oft hört und liest man davon, dass das Quälen zum Radsport gehört. Ja … quälen von mir aus, aber die Hungerast-Hölle spare ich mir zukünftig.

Um den Tag noch abzuschließen habe ich mich auf dem Rückweg noch wegen 2 Umleitungen verfahren und durfte mit dem Rad 2km über einen Waldweg fahren. Die zweite Umleitung hat mir dann gleich noch einen knackigen Anstieg beschert.

Alles in allem eine Ausfahrt zum vergessen… aber durchgezogen habe ich es dennoch. Die Eddy Merckx Classics werden ganz klar ein hartes Stück… und ob die es wirklich schaffe 168km und 2.800HM im Zeitlimit zu absolvieren ist keinesfalls sicher. Aber versuchen kann man es ja mal … einfach so … als intellektuelle Herausforderung!

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2 Kommentare

  1. Hallo Daniel,
    ein wahrhaft…intellektueller…Beitrag. Ich kringel mich immer noch vor Lachen. Selten habe ich erlebt wie jemand so anschaulich seine leiden und sein inneres beschrieben hat. Sehr schön!
    Du packst die EMC. Ganz bestimmt. :-)
    Viele intellektuelle Grüße,
    Thomas

    • Hi Thomas, da siehst Du mal wie mich das bewegt hat. Hätte ich Energie gehabt den Blogbeitrag direkt am Rad zu diktieren wären wohl ungefähr 437 Schimpfwörter und 68 Ur-Laute zusätzlich mit eingebaut worden.
      Irgendwie bring ich das Ding schon hinter mich bringen – und das nächste mal trainiere ich auch sicher … bestimmt ;)

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