Im Regelfall lese ich ja nicht in der Wikipedia nach, ob es für das Event für das ich mich gemeldet habe einen Eintrag gibt. Beim Treppenmarathon in Radebeul war das anders, schon allein weil der Veranstalter ein Zitat darüber direkt auf die Startseite gesetzt hat.
Das spricht doch mal für sich. Eine Veranstaltung die sich blumige Marketingworte erspart und stattdessen im sachlichen Wiki-Sprech für sich Werbung macht.
Dort steht ein Wort drin, das ich bis vorgestern zur Kenntnis genommen hab, heute aber ganz anders sehe.
Wortwörtlich steht da geschrieben:
Der Sächsische Mt. Everest Treppenmarathon ist eine seit dem Jahr 2005 existierende Extremsportveranstaltung auf der Spitzhaustreppe in Radebeul-Oberlößnitz.
Im Marketingsprech des höher, schneller, weiter liest man so einen Satz einfach so und denkt sich … olle Kamelle, Hausmannskost, das übliche eben.
Aber ich muss euch warnen. DIE MEINEN DAS ERNST. Ich hab in den letzten Jahren viele verrückte Dinge gemacht. Einen Monat lang jedes WE einen Vollgaswettkampf, 300km auf dem Rennrad, Marathon mit Leistenbruch, 2 Marathons in 4 Wochen mit 500km Vorbereitungzeit, 160km Radrennen ohne Training, ZUT Basetrail bei durchgehend Regen und Kälte und noch einige Schmankerl mehr.
Aber das war alles nix, gegen das was ich gestern erleben durfte. Zusammen mit Chris – Schluppenchris – The Treppenterminator und Andre der Stufenkiller bildeten wir eine Dreierstaffel, die man beim METM gerne Dreierseilschaft nennt.
Eigentlich aber eh schon bekloppt, immerhin steigt ja keiner 8848 Meter hoch um den Mt. Everestgipfel zu erklimmen…ausser er startet irgendwo am pazifischen Ozean. Die werden ja alle auf 5000 HM geflogen, also haben die auch nur die Differenz zu überwinden, die so einem Dreierseilling bevorsteht. Allerdings erstmal nur Uphill… Downhill gibts nur in Radebeul.
In der Zeit vor dem Event wurde mal mehr oder weniger ernsthaft trainiert, sogar teilweise auf der Original Treppe, aber so ganz wirklich ernst haben wir alle drei das Ding nicht genommen. Mal ehrlich, Ausdauersportler besonderen Ausmaßes in der Blüte ihres Lebens. Was kostet die Welt. Alle drei trainieren wir auf den ein oder anderen Ultralauf dieses Jahr hin… was sollen da schon die ca. 30km Treppenlaufen ausmachen.
Während wir diese Gedanken hegte, saß irgendwo oben auf der Spitzhaustreppe sicher ein kleiner Treppengoblin der sich höllisch ins Fäustchen lachte, was uns noch blühen würde.
Samstag ging es dann los, die Aufregung bei mir hielt sich in Grenzen, erstmal ging es Richtung Dresden und dann bevor meine Familie ihr bequemes Hotelzimmer bezog noch zur Treppe um die ganze Twittercrew zu treffen.
Wie immer ist es mir ein absolutes Freudenfest endlich mal normale Leute zu treffen, mit denen man sich total entspannt über ganz normale Dinge unterhalten kann. Ich liebe das und das bot der METM sicherlich. Mehr Leute habe ich nur in Berlin getroffen, aber bei weitem waren dort nicht so viele so locker, gelöst, verbunden, herzlich wie an der Treppe. Das Ding ist eine ganz intime Veranstaltung und kein 40tsd Leute Stadtlauf. So einfach.
Beim Start der Alleingänger hatten wir unseren Spaß und feixten fröhlich herum, während die ersten nach der ersten Runde schon mit angestrengtem Blick die Treppe wieder hoch kamen. Das erinnerte Andre und mich an unsere Trainingsrunden, die wir aber in 5er-Blöcken gelaufen sind und nicht einzeln und auf Zeit. Dennoch konnte man da schon den zukünftigen Sieger sehen, denn der lief auch noch nach der 5. Runde im Laufschritt die Treppe nach oben. Für mich eine, zu keiner Zeit, nachvollziehbare Leistung!!!
Wir verabschiedeten uns kurz und ich war mit meiner Familie noch Abendessen, da es an der Treppe für Außenstehende sonst zu lagneweilig geworden wäre. Nachdem ich versuchte mich etwas auszuruhen (mit mäßigem Erfolg), holte mit Andre gegen 22:00 Uhr am Hotel ab und ab da zählten wir die Minuten bis zum Briefing und zum Start.
Achja, der Start … den Fakt, dass dieser Sonntags um 0:00 Uhr stattfindet, hatten wir alle drei ziemlich lange ignoriert oder übersehen. Allein das hebt den #allebekloppt Level schon stark an, denn einen Start um Mitternacht hatte ich auch noch nicht. Aber so sollte es sein.
Im Zelt hatte sich eine Twittergruppe gut eingerichtet. Zusammen mit den Twitter-Buddies von #Twitterwürfel teilten wir uns einen kleinen Bereich in dem bald ein ständiges wechseln, ausruhen, aufwärmen, Zeit zählen und taktieren losging.
Aus der Trainingserfahrung und den Berichten der Treppenveteranen entschlossen wir uns von „kein Plan“ auf – jeder läuft eine Runde – umzustellen. Das erschien mir persönlich auch am sinnvollsten und so startete ich auf die erste gezeitete Runde.
Total im Rausch versuchte ich die Treppe runter zu kommen und war perplex wie dunkel es ist, wie wenig man sieht, wie unsicher man die Treppe hinunter ist. Wenn ich da schon gewusst hätte das ich 1-2 Stunden später die Treppe so laufe, dass ich teilweise 3 Stufen überspränge … aber das war noch lange hin.
Also, Treppe hinunter, laufen (Anfangs sogar noch rennen), Wende, wieder hoch, den ersten Treppenansatz übersprintet und dann immer schön zwei Stufen gehen. Treppen Profis tragen bspw. nur rechts einen Handschuh um sich sicher festhalten zu können und keine Blasen zu bekommen. So kann man sich gut am Geländer hochziehen.
Oben dann der Wechsel, bei HF-nahe-MAX steht man also da oben im dunkeln und bei Eisseskälte und muss eine gute Viertelstunde warten bis man sich wieder auf eine Runde stürzt. Mitten in der Nacht!!! Anfangs total gepusht durch das Adrenalin war einige Zeit später der Zauber irgendwo zwischen Adrenalinpeak, Körper der immer schneller nach der Belastung runterfährt und Müdigkeit zu pendeln.
Was für eine krasse Mischung, wenn es dazu noch kalt ist.
Chris hatte gerade in der Nacht mehrfach versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln und auch wenn ich sonst viel und gerne rede, aber es gibt diese Siutationen in der ich immer und immer weniger sage. In dieser Nacht war ich dort. Es gab nichts zu sagen.
Anfangs ballerten wir die Runden so schnell es ging. Meine schnellste Runde stand bei 7:05 … Treppe runter, so waghalsig es nur ging, rennen – wenden – rennen … sprinten und steigen. Stark nach vorne gebäugt über die Oberschenkel nach oben und dann wieder rennen. Puls von 175… Übelkeit … Decke nehmen … Stuhl … abschwitzen … rechtzeitig in die Decke wickeln und wieder rechtzeitig den Staffelwechsel abpassen. So verlief die Nacht.
Mein Tief kam auch deutlich später, während es schon wieder hell war. Während mitten im Dunkel die Vögel anfingen zu singen, war da eine Ahnung, dass der dunkle Teil der Veranstaltung vorbei wäre, aber für mich fing das Martyrium erst an.
Nachts stolperte ich bei einer waghalsigen Abwärtstour. Fing mich am Geländer noch ab, scherte mit dem rechten Bein aus und knallte mit dem rechten Knie gegen einen Sandsteinpfeiler der Treppe. AUA!! Ab da lief der Schmerz im Bein mit. Nach einigen guten Runden war aber von einem auf das andere mal die Luft raus. Ich lief plötzlich 10 Minutenrunden und fühlte mich total am Ende.
Zu keiner Zeit wollte ich aufgeben, es waren auch keine körperlichen Warnsignale, aber irgendetwas in mir drin hatte auf reinen Überlebenstrieb umgeschaltet. Mental drehte sich alles um die Treppe, um den Wettkampf um unser Team … und darum was ich mit reinem Willen schon geschafft habe.
Und dann kam der – für mich persönlich – irrste Moment in dieser Zeit der Aneinanderreihung irrer Momente. Der Moment, in dem mein Körper mir signalisierte, das er wieder bereit sei. Und aus dem Nichts ermöglichte mir dieser Körper, der vor genau einem Jahr an der weichen Leiste operiert wurde, dass er wieder alles an Power zur Verfügung steht was er hat.
Downhill laufe ich knallhart und treppauf halfen mir die ganze Zeit meine vielen Höhenmeter, aber zusammen mit der Erkenntnis lief ich beim Staffelwechsel mit Chris diesmal sofort im Laufschritt los und übersandt den Schmerz, ich stürzte mich wieder im 2er oder 3er Treppenwechsel hinunter, nur gehalten vom Griff am Geländer und lief unten an. Übersprintete sogar wieder den ersten Absatz bergauf und stieg was das Zeug hielt. Und BAMM … da war sie … eine 7er Zeit … nach 10er Zeiten.
Da war dieses wahnsinnige Feuer, das mich um die Zugspitze trieb, das mich letztes Jahr nach einem Einbruch die Cyclassis total kaputt zu Ende fahren lies und das mich 300km auf dem Rad fahren lies. Dieses Feuer das in mir brennt, wenn ich etwas will. Und ich wollte es schaffen … dieses kranke Ding. Diese Veranstaltung die als trockener Fakt nur ein schlechter Witz sein könnte, die aber soviel mehr ist. Die ein Selbsterfahrungstrip ist … ein verdammt harter.
Die Müdigkeit war Weg, die Schmerzen waren da, aber nicht während ich lief … und so fanden wir alle drei unser Feuer wieder und liefen plötzlich Runde um Runde konstant gute Zeiten. Das war eine pure Freude zu sehen, was wir drei noch zu Leisten im Stande waren. Trotz peitschendem Wind, Regen oder Graupel, trotz Schlafentzug und 1000 … ach quatsch 2000 Höhenmeter in den Beinen, wir liefen, wir stiegen, wir litten.
Die Twitterwürfler waren ihrer 100sten Runde schon Nahe da standen bei uns rechnerisch noch 3 Stunden an, aber wir konnten verkürzen, liefen die guten Zeiten und holten raus was nur ging.
Vielleicht weil jeder von uns einfach nur fertig werden wollte … aber wir drei und alle anderen die 11, 14, 16 oder allein sogar 24h immer wieder die gleiche Treppe auf und ab liefen, wir wollte etwas anderes. Jeder für sich hat sicher hier etwas besonderes erlebt.
Ich für mich auf jeden Fall, ich habe wieder dieses unbändige Feuer, den Sieg es Willens über die gedachten Grenzen des Körpers, erleben dürfen. Wenn Du da mit Dir allein auf der Treppe bist, ist das wie eine andere Welt … und die Welt in die ich da geblickt habe, die ist anders.
Die Frage warum man sowas macht muss man ja oft beantworten, ich konnte da vorab keine adäquate Antwort geben. Jetzt habe ich für mich selbst eine, meine eigene. Und jeder der gestern oder die letzten Jahre auf dieser Treppe beim METM war, der hat diese Antwort in sic
Obwohl dort so viel Schmerz herrscht und keiner sowas locker macht … viele kommen sogar wieder. Und das ist es, was diesen Lauf so Extrem macht zur Extremsportveranstaltung.
Extrem bedeutet, bis an die äußerste Grenze zu gehen. Aber in diesem Fall nicht nur körperlich. Ich ging an meine äußerste Grenze in meinem Kopf, für diesen krassen Kick machen wir das. Wir fighten mit dem großen Bruder vom Schweinehund, wir tun extreme Dinge … aber wir sind ganz normale Menschen, die heute wieder in die Arbeit gehen und die nach so einem Trip auf der Treppe doch nicht mehr ganz dort ankommen, wo sie am Freitag ausgestempelt haben.
Für mich ist der METM der krasseste Selbsterfahrungstrip den ich erleben durfte und … ich kann es kaum glauben … schon am nächsten Tag ist nur noch diese Erinnerung da, positives, gutes. Respekt!
P.S.: Als kleiner Nachtrag zusätzlich zu meinem Psycho-Geschwurbel möchte ich mich nochmals ganz herzlich bei Rennmops Stephan bedanken, der uns alle drei in das Ding gequatscht hat.
Dann allergrößten Treppenbuddiedank an Andre und Chris für dieses unglaubliche Erlebnis. Danke das ich das mit euch erleben durfte!! Danke auch an Tim, Patrick und Ralf – ala Twitterwürfel, fürs Batteln, mitleiden, zureden, motivieren, da sein, hochziehen.
Im gleichen Atemzug natürlich herzlichen Dank an alle Supporter, ob offiziell oder inoffiziell. Danke an Karen, Susi, Sascha, Corinna, Isabell und allerselbstverständlichstens vielen Dank an meine Frau und meinen Sohn.
Dieses Twitterding macht es möglich, dass sich Menschen aus ganz Deutschland an einem Wochenende an einem Ort treffen und dort so zusammen sind, als würden sie sich schon immer und ewig kennen. Wunderbar!
Sehr geil und Haut von Gans. Respekt euch drei Bekloppten. Ich und quatschen… never! ?
Niiiiiemals :-P
Aufgegeben wird schließlich nur bei der Post, tolle Leistung – Respekt
Großartig. Herzlichen Glückwunsch und großen Respekt vor Deiner/Eurer Leistung.
Vielen Dank für Deinen schönen Bericht vom Treppenmarathon. Ich habe beim Lesen auch alles noch mal nachempfunden, denn ich war einer der Alleingänger ( 100x = 19:03 h).
Ich habe trotz ZUT, LUT, Eiger Ultra und GGUT wohl den emotionalsten letzten Kilometer und Zieleinlauf meines Lebens gehabt.
Ich glaube dennoch das dies nur die nachempfinden können, die es selbst gemacht haben, auch wenn Dein super geschriebener Bericht Andere schon sehr nahe an die Materie gebracht haben sollte.
Glückwunsch Heiko, interessante Aussage auf jeden Fall – die Treppe ist wohl so eine eigene Welt.
Servus Daniel,
super zu lesen, bringt einen das ganze Event nochmal hautnah zurück. Stück für Stück, Stufe für Stufe. Unglaublich, wie wir in der Nacht in den Seilen hingen, aber in den entscheidenden Runden top fit waren und durchgebissen haben. Nochmals Glückwunsch zur Leistung!
VG
Patrick
Danke, Dir und euch natürlich an dieser Stelle auch nochmals Glückwunsch. Krasses Ding – wie schnell man selbst in einer Staffel an seine Grenzen kommt – mental und körperlich. Aber gemeinsam haben wir den METM gerockt! :-)