Treppenwitz in der Todeszone – METM 2018

Immer wenn ich einen Blog-Eintrag mit einem Zitat beginne, wird der lang. Ist mir aufgefallen – aber es passt nunmal so wunderbar. Also schon mal sorry im voraus. Hier also das direkt angedrohte Zitat von Wikipedia:

Ein Treppenwitz ist – im ursprünglichen Sinne von Witz – ein geistreicher Gedanke, der jemandem einen Moment zu spät („beim Hinausgehen auf der Treppe“) einfällt und der in der aktuellen Runde oder Diskussion nicht mehr vorgebracht werden kann.

Klar, sagt ihr jetzt. Treppen laufen in Radebeul und Treppenwitz … voll der Burner ey, ein schlechteres Wortspiel fällt dir nicht ein? Aber gebt mir noch etwas Zeit. Zeit ist eines der Sachen die man braucht um die Geschichte von meinem Mt. Everest Treppenmarathon zu erzählen, zu durchdenken und zu verstehen.

Einfach für die Stimmung hau ich aber noch einen „Treppenwitz“ hinterher, nur für die Quote:

Was ist das: Schwarz und weiß, schwarz und weiß, schwarz und weiß.

Eine Nonne, die die Treppe herunterfällt.

Also – kurzer Schritt zurück. Warum der Treppenwitz als Hauptmotiv? Die Sache mit den Grenzverschiebungen, mit dem Ausloten der eigenen Grenzen, der Suche, dem Finden, dem Antesten, den Überschreiten hat eine entscheidende Nebenwirkung. Wobei … letztlich sogar einige Nebenwirkungen.

Einerseits ist da diese unglaubliche Faszination für die Gefühle, die sich in einem abspielen. Es ist die größte aller denkbaren Karotten für den Ausdauersportler und man kann die sich auch noch selbst vor die Nase hängen. Kein Runners High macht so high wie Grenzverschiebungen im großen Stil. Man wird etwas „süchtig“ danach. Der Nachteil – ist die Grenze mal verschoben, die Komfortzone verlassen muss man rein theoretisch wieder ein bisschen weiter gehen für dieses Gefühl. Nach meinem Empfinden nutzt es sich aber nicht so stark ab, es ist höchst individuell und hat jedes mal ein anderes Gesicht.

Was aber von Grenzkontakten bleibt ist ganz oft und bei vielen Ausdauersportlern das gleiche. Wie beim Treppenwitz fällt ihnen ständig was neues ein und man belästigt tendenziell übermässig sein Umfeld mit Gedanken, Augenblicken und Erlebnissen. In Zeiten der Social Media Kanäle können so unbedarfte Partner auch mal Pause von der anaeroben Dauerbeschallung nehmen, dafür muss der Rest der Welt herhalten.

Und da ist noch der dritte Punkt – der Ausdauersportler selbst findet regelmässig … wenn er schon auf der Treppe ist (oder eben nicht mehr, wie beim METM) … etwas was er besser/schlechter/anders hätte machen können. Aber dazu gleich mehr.

Mt. Everest Treppenmarathon – Extremsport auf 397 Stufen

Zusammen mit den Sportsfreuden Christian und Andre absolvierte ich ja bereits 2017 eine Nacht in Radebeul mit sehr vielen Erkenntnissen. Erkenntnisse über Schmerz, Leid, Motivation, Sonnenaufgänge, Leid, Schmerz, Kehrtwenden, Treppengewohnheiten und Leid. Ich sah Menschen die einfach nur noch eine Hülle waren und nicht mehr wie wenige Stunden zuvor, aber ich sah auch diese irrsinnige Faszination die dieser Wettkampf ausübt, so stark das manche jedes Jahr wieder kommen!

Es ist ein wenig die Faszination die eine frisch geschliffene Klinge hat, wenn man sie ins Sonnenlicht hält. Das Messer funkelt und man weiß, das Ding ist höllisch scharf, wenn man da jetzt hinlangt dann…. AUTSCH!

Ja genau so lief das mit der Anmeldung! Mausgerutscht – und schon war ich zur Extremsportveranstaltung angemeldet (auch wenn Verwandte und Kollegen das schon von anderen Dingen die ich so treibe behaupten). Nach dem Supertrail letztes Jahr war es nicht wirklich da, dieses dunkle Ultra-Loch, aber ich verspürte meinen inneren Gollum nach einem neuen Schatz rufen hören und so geschah es. Zu behaupten ich hätte jetzt wahnsinnig fokussiert trainiert wäre falsch.

Nach dem Außenbandanriss beim Kreuzberg50 wollte ich wieder auf die Beine kommen und die Planung für 2018 warfen große Schatten. Letztlich habe ich so viel trainiert wie noch nie, angeknüpft an meine wahnsinnige Laufsaison 2015 „lief“ es wieder. Weniger Rad, mehr laufen. Intervalle hier und da, Höhenmeter und trotzdem Tempo. Lief alles erstklassig – vor 4-5 Wochen kehrte dann etwas der Schlendrian (oder SCHLEM’drian?) ein. Auf eine Entlastungswoche folgte eine Infektwoche, dann Wiederaufbau, dann SCHLEM, dann kleiner Infekt, dann Tapering. Aber kein #mimimi – was man für den METM braucht, verliert man in so kurzer Zeit nicht wieder.

Eines war mir von Anfang an klar, meine größte Stärke hatte ich immens trainiert. Obwohl ich auch läuferisch so viel mehr gemacht und draufgelegt habe, mental war ich noch nie so stark ich aktuell. Und so saß ich Samstag Mittag mit meiner sehr tollen, sehr toleranten, sehr leidens- aber auch begeisterungsfähigen Ehefrau im Auto auf dem Weg nach Radebeul, denn meine Herzallerliebste wurde von mir auch noch auserkoren mein Support zu sein. Was sollte da noch schief gehen?

1. Akt – die Hitze

So schön Wetter-Apps ja auch sind, aber manchmal verheißen sie nichts gutes. Supertoll für alle Dresden- und Radebeul-Besucher. Das Wetter für das Wochenende war Bombe. Sonne ohne Ende. Für die geneigten Alleingänger am Treppen-Everest sind das aber keine gute Voraussetzungen. Bei einer Laufzeit von 16 bis 16 Uhr liegen da viele viele Stunden in praller Sonne, nichts was man hätte 2018 bisher gut trainieren können. Durch die Wetter-Apps waren aber immerhin die Ausrüstungsboxen ausreichend mit Salztabletten und Sonnencreme gefüllt. Gut so.

Wir kamen um ca. 13:30 an der Treppe an. Jedes mal wenn ich dort hinfahre muss ich innerlich ja etwas kichern. Muss man doch durch „Wahns_dorf“ fahren um an den Start zu gelangen. Hihi Wahn!

Wir parkten das Gefährt und ich schleppte meine kleine Treppenkiste zum Start. Sicherlich luden da auch einige Dreierseilschaften aus, aber was so an Gerät und Ausrüstung aufgeboten wurde, lies mich kurz zweifeln. Hab ich was vergessen oder falsch gepackt? (Spoiler: ja hatte ich). Nur gab es kein zurück mehr.

Am Startgelände angekommen begrüßten wir Christian (Schluppe) und Christian (Trailtiger) – bezogen die Twitterblase im Zelt und bekamen bald noch Gesellschaft von Ralf (Ribbscher) um die fröhliche Alleinstarterschaft zu kompletieren. Wir verspeisten nach Besichtigung der Laufstrecke (von oben) noch die Henkersmahlzeit und verzogen uns in das Zelt. Klamotten wurden gewechselt, Vaseline und Hirschtalg verteilt und Sonnencremes aufgebracht. Im Zelt herrschte rege Betriebsamkeit und der unverwechselbare Geruch von Ausdauersportlern VOR der sportlichen Betätigung.

Mein morgendliche Aufregung war inzwischen dem Fokus gewichen. Ich war bereit, nicht euphorisch, nicht übermütig sondern einfach bereit. Ich hatte keinen wirklichen Plan, dachte an 5er Turns und damit Pause jede Stunde, ich warf die erste Salztablette ein, besprach mit meiner Frau die Salz-Strategie und verabschiedete mich in Richtung meines Tunnels.

Dort muss ich auch ziemlich schnell angekommen sein, denn so wirkliche Erinnerungen habe ich nicht mehr. Es war warm, ich lief zügig runter und so gut es ging wieder hoch. Ein Rhythmus für raufwärts fehlte da noch. Ich merkte nur ziemlich schnell, dass die sonst so super bequemen Altra Escalante hier und heute bei mir keinen Preis gewinnen. Es fiel mir letztes Jahr schon auf, dass bergauf laufen und Treppensteigen zwei unterschiedliche Dinge sind. Auf der Treppe kann man Kraft sparen, wenn man mit dem ganzen Fuß auftritt, wenn man nicht den ganzen Fuß auf die Stufe manövrieren will verliert man aber mit zu weicher Sohle. Also war der Plan klar, nach dem ersten Turn zu wechseln.

Bis dahin suchte ich weiter den Rhythmus. Runter – laufen – wenden – gehen – steigen – gehen – trinken – Kleinigkeit essen – laufen und runter. Klingt einfach, aber es gibt viele Schattierungen von runter oder laufen oder steigen. Die Treppe lag währenddessen in der prallen Sonne und ich hörte die Mitstreiter sehr oft den Satz sagen, dass es in zwei Stunden kühler werden würde. Das war ein gutes Ziel!

Nachdem mir mein Körper gute Signale sendete disponierte ich meine Strategie schnell um. Bei 6 statt 5 Runden pro Turn sind das 20% weniger Pausen, bzw. 20% längere. Also, Pause, Salztablette – Singlet gewechselt, denn vom Schweiß und vom Schwamm (ohne war es nicht auszuhalten so heiß war mir) war es triefend nass. Sitzen, essen, durchschnaufen. Blick auf den Puls und nach kurzer Zeit ging es weiter. Das fühlte sich gut an, die 6er-Turn-Strategie gefiel mir. Allein schon aus trotz dem dezimalen System gegenüber und weil mich das gut beschäftigte abseits von 5er-Schritten die nächste Pause anzuvisieren.

So lief ich zwei 6er Turns bis zu dem ominösen Zeitpunkt an dem es kühler werden sollte. Kühler hieß immer noch T-Shirt, obwohl ein Lüftchen über die Treppe wehte war es noch absolut OK kurzärmelig zu laufen. Am Wendepunkt oben verpflegte ich mich eher minimal – mein Standardgetränk war 3 Runden Wasser – 2 Runden Cola-Schorle. Hin und wieder schnappte ich ein Stück Toastbrot mit Marmelade, Salzstangen, Apfel oder Banane. Nicht der Rede wert. Die Kalorien folgten dann soweit möglich in der Pause, die beim 2. und 3. mal auch mal länger wurde.

2. Akt – die Nacht

Mit meiner Frau besprach ich, wie lange sie bleiben will und wir machten aus, dass ich noch einen 6er Turn machen werde. Auch wenn ich dann in den Trubel der Dreierseilschaften komme, aber es passte ganz gut. Danach wollte ich eine längere Pause einlegen.

Also Brille wechseln, Langarm Shirt an, nochmal alles aufgetankt was ging und hinein in die Nacht. Ich rechnete, dass ich 4 Runden noch in „Ruhe“ auf der Treppe haben werde und dann die schnellen Dreierseilschafter „Stress“ machen. Die Runden davor lief alles nach Plan. Die Treppe hatte mir einen Rhythmus gegeben. Nicht ich habe ihn gefunden.

Vom Wendepunkt an wird natürlich gegangen, dann an den ersten Absatz – Stufe für Stufe – drei Schritte, nächster Absatz. Dann Stufe für Stufe nach oben bis zu den kurzen Absätzen, dort dann zwei Stufen auf einmal inklusive „am Geländer ziehen“ – Tor in der Mitte – nochmal kurze Absätze, dann wieder lange Absätze mit Stufe für Stufe. Perfekt für mich. Unten konnte ich locker steigen, die kurzen Absätze änderten die Muskelbelastung etwas mehr und oben konnte man stur hochtigern. Seit dem Sonnenuntergang immer schön brav mit hinter dem Rücken verschränkten Armen – so konnte ich aufrechter gehen und mit mehr Kraft steigen, zudem ermüdet so der Oberkörper weniger.

Die Zahlen gaben mir recht, ich drückte kaum 12er Runden ab – sogar viele 10er. Die letzte vor der Pause natürlich am schnellsten, man will ja quasi „Heim“.

Bevor sich meine Frau für einige Stunden in ihre Pension verabschiedete, füllte ich erstmal wieder auf. Nudeln mit Brühe, Cola, dies und das. Ich fühlte mich super und hab die längere Pause nochmals um einen Turn verschoben. Meine Frau machte sich auf den Weg und ich mich auch wieder. Hinaus in die Nacht, sternenklar und so ganz anders als letztes Jahr. Es war leichter, weil nicht der Belastungswechsel da war. Ich konnte weiter zügig die Treppe runter, unten laufen, wenden – zügig hoch und dann in den Steigrhythmus.

Trinken, Kleinigkeit essen und wieder runter. Immer mit dem Gedanken doch mal einen kurzen Blick auf die Stadt zu werfen, aber die Gedanken halten auf der Treppe nicht, sie fliegen einfach davon. Der Gedanke das nächste mal was anderes zu essen, oder auf die Rundentafel zu gucken. Fehlanzeige – die Zeitspannen zwischen runter, laufen und steigen passen sich so perfekt an, dass man wie ein Pendel an einer langen Schnur ständig hin und her pendelt ohne dass es hektisch wird. Ist man oben, hat man ein paar Augenblicke der Ruhe, isst und trinkt. Wendet und dann geht es abwärts.

Anfangs noch locker steigt auch hier irgendwann wieder der Anspruch. Unten angekommen kann man etwas laufen, bremsen, wenden und dann zügig gehen. Der für mich befreiendste Moment am METM. Das kleine Stück das man zur Treppe geht öffnet das Fenster für Gedanken oder Nachts für einen Blick nach oben, zum Turm in den sternenklaren Himmel. Dann wieder auf die Treppe – teilweise so stoisch, dass ich nur noch links/rechts/links/rechts gedacht habe.

Für den ersten Turn nach Mitternacht habe ich mir Musik auf die Ohren gepackt. Eine absolut schräge Playlist von Spotfiy mit Liedern auf den  70ern und 80ern. So wunderbar verschroben wie das ganze Unterfangen. So schraube ich mich „nach oben“ immer näher an die 50, das soll das Ziel sein vor dem Sonnenaufgang, es wird mein Ziel vor der Pause.

Mit großer Genugtuung blicke ich für mich auf die Nacht, die für mich gar keinen Schrecken hatte. Ich war sehr fokussiert und habe mir die Kräfte gut eingeteilt. Die Runden wurden teilweise sogar schneller, ich war euphorisch und sehr zufrieden, wohlwissentlich, das hier noch nichts entschieden ist.

Mit einem Marathon in der Tasche legte ich mich auf meine Liege mit dem Ziel eine Stunde zu schlafen, vorher gab es noch was zu essen. Ich stellte meinen Timer am Telefon, zog mir ein Buff über die Augen und ruhte. Tief geschlafen habe ich nicht, aber es war erholsam.

3. Akt – der Leichtsinn

Mit weiteren 50 Runden vor der Brust wachte ich auf. Ich dehnte die müden Gräten und schob noch ein bisschen was nach. Jetzt war da wieder die Frage nach der Strategie. Weiter 6er Runden? Oder was anderes? Ich war unsicher – aber irgendwann musste ich ja auch wieder los.

Playlisten-Wechsel. Uptempo-Zeugs, wieder so ne Spotify Liste, nichts handverlesenes. Wohlwissentlich das ich damit das letzte Jahr so herbeigesehnte Vogelzwitschern zu verpassen. Der Körper bedankte sich für die Horizontale, vor allem der Rücken war froh, ich konnte wieder steigen ohne die Arme zu verschränken. Also ging es auf die erste Runde bei der ich rückwärts zählen konnte.

Aber ich wollte gar nicht rückwärts zählen, ich wollte weiter hochzählen, mir das geleistete bewusst machen. 51….52 … 53…. der Ultra war im Sack. Ich fühlte mich gut, aber ich bemerkte nicht, dass ich zu wenig gegessen hatte. Die Toastbrot-Viertel mit Marmelade und die Wassercola sind nicht die Welt. Ich hatte die fixe Idee 10 Runden am Stück zu machen. Das nächste mal nach der Pause wollte ich, dass eine 3 vor der noch zu absolvierenden Rundenanzahl stand.

Es wurde zäher und zäher. Aber der Anblick vom Fuße des Berges hinauf zum Sonnenaufgang hinter dem Bismarkturm entschädigte. Ich stieg wieder im Rhythmus und war stolz wie Bolle, das ich auch 10 Runden schaffte. 10 Runden – also fast 2h ohne Pause. Das war anstrengend und kräftezehrend. Mein Körper hatte mir mit den 6er-Turns einen guten Tipp gegeben, das ging wirklich prima. Aber so langsam vergas ich zu essen. Beim aufstieg dachte ich noch, jetzt nimmst du mal das, aber dann war ich schon wieder auf dem Weg nach unten und merkte nicht, das es zu wenig Kalorien waren, die ich zuführte.

Aber die Pause durfte ja nach 10 Runden ruhig mal länger sein. Die 60 Runden standen. Einfach irre – im Kopf machte ich mir klar, dass der nächste Turn die maximale Rundenanzahl vom Vorjahr verdoppeln würde. Der Schmerz saß schon tief in den Gliedern aber ich freute mich auf den Vormittag, den blauen Himmel.

Ich gab meinem Körper nach und visierte wieder den 6er Turn an, es wurde zäher und auch wärmer. Ich fühlte mich leicht ausgezehrt spulte nochmals 6 Runden ab, wieder konstant um 11 Minuten. Die Zeiten auf der Uhr spiegelten nicht immer mein Empfinden wieder, aber abwärts lief es weiterhin gut, so dass aufwärts auch mal möglich war nicht zu überholen. Zum Ende dieses Turns war von Wohlbefinden keine Rede mehr.

Ich hatte keinen Hunger mehr. Egal was es war, es erschien alles so wahnsinnig unattraktiv. Der Geruch, das Gefühl – nichts reizte mich. Süß nicht, salzig nicht. Gar nicht. Ich zitterte vor mich hin und wurde zum wiederholten male an diesem Wochenende in Decken gewickelt. Inzwischen versammelten sich 3 Leute um mich um mir alles verfügbare an Nahrung vor die Nase zu halten und mich zu zwingen möglichst viel davon zu essen.

Der 10er-Turn hatte mich ausgelaugt und danach hab ich nicht ausreichend nachgeladen. Die Beine schmerzten, aber das tun sie nunmal auch. Aber ich nahm das Angebot meiner Frau dankend an mich ins Physio-Zelt zu begleiten. Angenehm war etwas anderes – aber Oberschenkel, Waden und Hüfte wurden traktiert im Sinne der weiteren sportlichen Betätigung. Inzwischen zählen wir Runde 66 und ich ging nach einiger Pausenzeit für Essen reinwürgen und Massage auf den nächsten Turn. Wieder 6 Runden – Ziel 72.

4. Akt – das Ende

Es wurde wärmer und alles wurde anders. Zu keinem Zeitpunkt in dem Lauf habe ich gehadert oder mich verflucht. Der Kopf war klar, einfach leer, nur beherrscht von rein funktionellen Gedanken. Hin und wieder versuchte ich zu rechnen, aber war mir stets sicher, dass für alles noch ausreichend Zeit war.

Während die Sonne so langsam über den Hang kroch und im Zentimetertakt mehr und mehr der Treppe in Wärme hüllte musste ich inzwischen beim Laufteil am Ende der Treppe abreissen lassen. Obwohl ich selbst nach dem Karwendelmarsch-Irrsinn noch 9km zügig bis zum Ziel laufen konnte, wurde es hier langsam hart. Die Zeiten verschoben sich langsam an und dann über die 12.

Meine Strategie die angefangene Runde schon rückwärts zu zählen offenbarte auf einmal wie viel noch zu laufen war. Lief ich oben los waren es 67 aber es blieben 67 bis unten, bis zum laufen, bis zum wenden, bis zur Treppe bis zum steigen, bis zum Ausstieg bis zur Zeitmessmatte. Dann …68 und wieder vorn vorne.

Das wurde mir immer bewusster, die Zeitspanne in der ich mir klar machte die wievielte Runde das jetzt ist. An der Regelmässigkeit in der ich jetzt immer die gleichen Dreierseilschafter beim Aufstieg sah, wurde mir klar, dass ich langsamer geworden war. Aber ich war dran, schwierige Zeiten hatte ich durchlitten auch das sollte wieder vergehen.

So schleppte ich mich nach der 72 wieder ins Zelt – kurze Pause, trinken, Salztablette, essen. Die letzten Runden lagen bei 13 irgendwas, die Hitze machte mir zu schaffen, die Schmerzen waren überall. Aber ich wollte wieder raus.

Was folgte war die Hölle. Ich konnte nicht mehr anlaufen und spazierte auf die Treppe zu. Abwärts stützte ich mich aufs Geländer, weil die Muskeln kein normales treppab mehr zuließen. Unten angekommen ging ich anstatt zu laufen und die Treppe hoch war einfach nur heiß und die Hölle. Die Zeit in der meine Gedanken nur noch um die aktuelle Rundenanzahl kreisten wurden gefühlt unendlich lang. Der Aussteig oben war keine Erlösung mehr. Ich drückte mir wieder einen Schwamm auf den Kopf – hatte das Gefühl das Wasser würde sofort verdunsten. Aber da war die 73.

Mental verkürzte ich auf 75 zur nächsten Pause. Mir war klar, das ich so keine 6 Runden laufen konnte. Nur noch 2 und die jetzige. Beim Abstieg in der 73 Runde kamen mir die Tränen. Ich war einfach nur am Ende. Kämpfte mich an den Supportern und Freunden vorbei – ich litt die 74. Wieder runter, ständig die Hand am Geländer abgestützt. Unten nur noch gehen, neben der Strecke, der Asphalt war zu hart. Hochgehen – und auf die Treppe.

Mein Körper signalisierte mir, dass er nicht mehr bereit ist eine adäquate Ausdauerleistung zu erbringen. 74 Runden. Über 60km und 6.500 Höhenmeter – und die Gewissheit, dass ich keine 100, keinen „Gipfel“ mehr erreichen kann.

Ich kann nur erahnen wie ich ausgesehen haben muss, mir war heiß, aber gleichzeitig kalt. Keinen Hunger. Alle, aber wirklich alle bemühten sich um mich um mich aufzumuntern zu versorgen für mich da zu sein. Unglaublich, nur weil so ein Spinner der Meinung ist 100 Runden auf einer Treppe zu laufen.

Ich saß auf dem Stuhl und obwohl ich mich gerade vorher noch die Stufen hochgequält hatte zeigte meine Uhr einen Puls von 89. Nachdem ich gegessen und getrunken hatte lies ich mich bereitwillig von meiner Frau bei den Sanis anmelden, sicher ist nunmal sicher. Der freundliche Sanitäter hatte keinerlei Verständnis dafür warum man 74 Runden sowas macht, aber muss er ja auch nicht. Irgendjemand muss auf die Verrückten ja auch aufpassen.

Das beste am Sani-Zelt war, liegen zu dürfen. Innerlich amüsierte ich mich etwas darüber, dass ich nach so einer Belastung einen Blutdruck hatte, nachdem sich manche Menschen in Ruhe die Finger lecken würden. Aber ich nutzten die Gelegenheit ein paar Minuten die Augen zu schließen. In mir wurde immer klarer, dass das Abenteuer METM hier für mich zu Ende geht.

Es war noch sehr viel Zeit, aber der Wille war weg. Aber mein Puls war wieder da, ich fühlte mich besser. Ich verzog mich auf meine Liege im Zelt und döste da noch etwas. Um mich herum taten das so einige, sowohl Finisher als auch noch aktive Läufer. Da war sie nun die 74. In meinem Kopf kreisten die Gedanken.

Nur noch 6 Runden – ein Turn und dann hast du 80 voll. Noch so viele Stunden Zeit. Selbst wenn du 20 Minuten pro Runde brauchst, dann packst Du das noch. Auch wenn ich es keinem der Anwesenden erzählte – einfach weil ich mich nicht traute, aber in war der Funke noch nicht erloschen, ich hatte die Uhr nur pausiert und nicht die Aktivität gespeichert. Noch war ich im Rennen.

Nur mein Körper war nicht mehr im Rennen, die Pause im liegen hat mein Organismus zum Anlass genommen alles was mal ein Muskel war in Blei zu verwandeln. Das Signal war kaum noch deutlicher wahrzunehmen. So konnte ich niemals im Leben sicher nach unten kommen. Die Gefahr zu stolpern oder mich anderweitig zu verletzten war einfach zu groß. Kein METM der Welt ist es das Wert. Das Spiel war aus, auch das längste Nickerchen würde diesen Körper nicht wieder zum laufen bringen.

Ich focht noch den ein oder anderen inneren Kampf aus, aber irgendwann muss man die Kröte schlucken. Ich drückte auf der Garmin auf speichern und beendete dieses Abenteuer, ca. 63km – ca. 6.500 Höhenmeter 29.378 Treppenstufen. Die „Todeszone“ lag bei mir knapp unter 7.000 HM, aber ich habe den Abstieg ins Basislager geschafft.

Wenn ich sagen würde, ich wäre nicht traurig gewesen, wäre das eine glatte Lüge. In dieser Situation in der ich mit den 100 im Kopf angereist bin, in der ich die Finisher Medaille als mentales Bild hatte und an der ich ständig vorbei kam, in der ich noch „so viel“ Zeit gehabt habe … fühlt sich das nicht richtig an.

Der Ehrgeiz und der Willen nach Grenzverschiebungen ist es, der uns antreibt. Das fällt nicht einfach von einem ab, auch wenn viele liebe Menschen das von außen völlig anders und das völlig richtig sehen. Für mich war diese Leistung gestern klein… oder sagen wir … nicht groß.

Finale

Wenn mich jetzt jemand fragen würde was meine Erwartungen waren, dann kann ich nur sagen 100 Runden. Das ist eben der Treppenwitz. Einem fällt die „Pointe“ eben zu spät ein. Die richtige Idee.

Erstaunlicherweise hadere ich aber nicht, es gäbe ja einiges zu durchdenken. Ich habe sicher zu wenig und zu unregelmässig gegessen. Ich hab mich Nachts zu sehr von der Euphorie hinreissen lassen und bin zu schnelle Runden – vor allem durch die Abwärtspassage – gelaufen. Ich hätte wahrscheinlich die Strategie nicht ändern sollen und hätte den auslaugenden 10er-Turn bleiben lassen sollen, oder ich hätte mir die 1h Belohnungsschlaf vllt. besser nicht gegönnt, denn müde war ich ja nicht.

Aber das sind alles Fragen, die ich mir jetzt wirklich erst überlegt habe – sie standen nicht zu Debatte. Der Extremsport hat gerufen, ich bin gekommen und er hat mir gezeigt wo meine Grenzen sind. Aber auch sie wurden verschoben. Diesmal ganz anders, als die letzten male. Ich habe wieder viel gelernt und würde behaupten, dass ich vor ein paar Monaten noch nicht in der Lage gewesen wäre überhaupt so weit zu kommen. Mental aber auch körperlich. Und auch in der Zukunft wird mich das erlebte weiter bringen – Lektion in Demut.

Ich bin weiter gegangen als ich es jemals gedacht hätte. 6.500 Positive wie Negative Höhenmeter. Quasi am Stück. Das ist wie, wenn Politiker mit Milliardenbeträgen jonglieren. Für „Normale“ Menschen nicht nachvollziehbar, auch für mich in kaum einer Relation unterzubringen. Dabei habe ich auch noch eine sehr lange Strecke zurückgelegt, die längste Dauer einer sportlichen Tätigkeit.

Nur wer wagt, kann gewinnen – aber natürlich auch verlieren. Das sagen wir uns immer so gerne. Wir, die Ausdauersportler-Heinis und Business-Kasper, die das gerne sagen um Understatement zu heucheln wohlwissentlich, dass das Risiko zu scheitern überschaubar ist.

Mein Risiko zu scheitern war groß, weil ich noch nie 82km gelaufen bin, weil ich 2018 nur 12tsd HM in den Beinen hatte, weil es heiß war und weil ich keine Erfahrung mit dem Wettbewerb hatte. Das konnte ich mir im Vorfeld gar nicht eingestehen. Wie hätte ich mich sonst an die Startlinie stellen können. Ich habe das Risiko in kauf genommen, so muss das eben sein.

Enttäuschung ist das Produkt zu hoher Erwartungen, sagt ein Kollege im Job so gerne. Ich würde gar nicht sagen, „zu hoch“ sondern nur hoch. Nur wer etwas riskiert kann etwas gewinnen, Lebenserfahrung nämlich, Erlebnisse, Gefühle … all das was einen als Mensch lebendig macht. Ich habe gestern Erkenntnis gewonnen, über mich – darüber wie ich mit solchen Situationen umgehe – darüber wie ich mit meinem körperlichen Leiden umgehe und darüber wo meine Grenzen sind.

Mentale Grenzen habe ich schon viele überwunden und körperliche zu spüren bekommen. Aber am 23.04.2018 habe ich sicherlich zum ersten mal eine körperliche Grenze erreicht. Das setzt neue Impulse, für den Alltag und für den Sport. Das ich weiter gegangen bin als jemals zuvor zeigt mir mein Körper auch heute. Ich habe auf der Couch geschlafen, weil das Bett im 1. Stock ist, ich kann kaum gehen und komm von der Toilette nicht richtig auf. Jede Bewegung ist Schmerz. Die Signale sind deutlich.

So deutlich, dass sie mir – und das ist kein Treppenwitz – ins Ohr flüstern:

„Junge, du hast für 2019 eine Rechnung offen!“

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11 Kommentare

  1. Freund Daniel,

    ich habe mir erlaubt, deinen METM2017 Blog abermals zu lesen und dann die 2018er Variante. Mach dir bitte bewusst, was du geleistet hast. Mach Dir aber noch viel mehr bewusst, wie sehr du gewachsen bist. Dein Kopf und dein Wille stark wie nie, waren die 33 Runden letztes Jahr noch Angst einflößend, jonglierst Du heuer mit hohen 60er Runden. Du beeindruckst mich immer wieder mit deinem Fokus und deinem Tunnel. Zu Nina sagte ich vorher schon, der Daniel ist mental einfach viel stärker als ich. Um so trauriger ist es, das du nicht die Gipfelluft schnuppern konntest, weil es wohlmöglich an fehlenden kcal scheiterte. Man weiß es nicht und es ist egal! DU HAST FAMOSES GELEISTET!

  2. Ich finde deine Geschichte großartig. Dass du aus dem, was viele als „Scheitern“ betrachten würden, nicht nur etwas, sondern jede Menge mitnimmst! Ich finde es beeindruckend krass, dass du 6.500 hm gemacht hast. Am Stück!
    Einfach. Nur. Wow.

  3. Wahnsinn! Du hast Starkes geleistet. Respekt. Und nächstes Jahr machst Du dann die 100. Denn Du weißt ja, warum es dieses Mal nicht ganz geklappt hat. Muss jeder mal durch, sei es ein Ultraläufer wie Du oder „Normalos“ wie Frauchen, die bei einem zu schnell angegangenen Berg-HM gnadenlos eingegangen ist.
    Achso: noch ein Treppenwitz: was ist blau / schwarz und mal schnell /mal langsam?
    Endurange beim METM ;-)

  4. Du bist schon ein krasser Typ. Ich stand nachts nur unten an der Treppe und hab euch zugeklatscht. Du versuchst hier eine Sache zu analysieren die Milliarden von Menschen nichtmal anfangen würden. Du bist soviele Schritte gegangen, die dich an ein Ziel brachten, wo andere nie hinschauen können, weil es weit – weit- weit hinterm Horizont liegt. Definitiv bist du uns Ziel gekommen.
    Seid ihr alle in meinen Augen – alle die den ersten Schritt wagten um diese Schmerzen freiwillig als Belohnung zu akzeptieren.
    Ich träume nur davon, einmal mitlaufen zu dürfen, vielleicht in einer Seilerschaft. Ich stand nun seit 2 Jahren nachts da unten und träumte mir so manches zusammen.
    Aber du warst dabei.

  5. @Thomas Höhler,

    ich kann dir versichern, das Du einer der METM Gemeinschaft bist. Und Du hast uns einen kleines Stückchen auf den Berg gebracht. Wenn es schwer wird sucht das Auge nach Abwechlslung. Und wenn Ihr da unten steht und vielleicht mal klatscht oder auch nur lächelt, ist das in dem Moment Balsam für die Seele. Und ganz ehrlich: wie bekloppt muss man sein, sich so etwas anzusehen…? ;-)

    Und warum meldest Du dich nicht an? Was bremst dich, diesen Spaß mitzumachen? Es gibt garantiert Menschen wie Du, die so etwas machen wollen… Sprich doch Ulf mal an, vllt kann er vermitteln. Sag deinem Schweinehund lebewohl!!! Also: 2019 will ich den Namen Höhler auf der Teilnehmerliste sehen. Oder es mit der aktuellen Harley-Davidson Werbung zu sagen: „Du kannst nur das bereuen, was Du nicht getan hast.“

  6. @Christian

    Was mich bisher gebremst hat? Bis letztes Jahr haben mich 143kg am Boden gehalten. Hab mir erstmal 47kg weggeballert dieseses Jahr. Angefangen mit schwitzen habe ich genau an diesen Treppen. Ich war nach 2 Runden klinisch Tod ;)
    Als ich leichter wurde bin ich dann gelaufen. Jetzt fang ich an zu überlegen, ob es denn was ist für mich. Ich Versuche mich mal an den Treppen. Liegen ja vor der Haustür.
    Schau gerne mein letztes Jahr auf Instagram an. Die Website habe ich hinterlegt.
    Danke für die nette Einladung.

    LG Thomas

    https://www.instagram.com/last_runner/

    • Sehr cool, was du da geleistet hast.

      Wenn du an den Treppen wohnst, mach deine eigenes Challenge: jeden verdammten Tag einmal hoch und runter. an 100 Tagen oder so etwas. Hol dir deine persönlichen Lorbeeren ab.

      Es müssen ja nicht immer 100 auf einmal sein.

  7. Hi Daniel, es ist so überhaupt nicht meine Form der Fortbewegung, trotzdem bleibe ich immer mal wieder an Deinen Berichten hängen und finde mich erstaunlich hineingezogen in diese läuferische Welt mit all den Höhen und Tiefen. Das liegt an Deiner Art, das Erlebte wiederzugeben, und ich wollte das einfach mal sagen, weil immer anonym finde ich eigentlich doof. Viele Grüße und immer gutes Fuß-Aufsetzen (keine Ahnung, wie Läufer sich korrekt Glück wünschen…)!

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